Die Geschichte des großen Ankum-Merzener Fußballkriegs von 1948, wie mein Vater sie erzählte

Früher war alles besser. Grundschüler drechselten Verse von Shakespearescher Güte, Imbissbetreiber wussten den Apostroph korrekt zu setzen und Fußballfans schlenderten friedlich händchenhaltend in Zweierreihen zum Stadion. Finde den Fehler.

Mein Vater war Landtierarzt, aber so richtig, wie in „Der Doktor und das liebe Vieh“. Er war direkt nach dem Krieg in mein Heimatdorf gekommen und fuhr anfangs noch auf dem Moped von Hof zu Hof, es gab kein Fernsehen und nur ganz wenige Telefonanschlüsse, Historiker streiten, ob alle Winkel der Region bereits christianisiert waren. Und weil mein Vater so viel herumkam, kannte er großartige Geschichten. Von den beiden Dorforiginalen im benachbarten Eggermühlen zum Beispiel, zwei skurrile Gestalten wie Pat und Patachon, manchmal packte der Große den Kleinen, riss ihm das Maul auf und rotzte seinen Kautabak hinein.

Auch vom Fußball gab es viel zu erzählen. Legendär war in den Fünfzigern die Aufstellung eines Teams im abgelegensten Ort der Region, wo die Zweifel die Christianisierung betreffend durchaus berechtigt waren: fünfmal Triphaus, sechsmal Ramler. Elf Freunde? Pah! Elf Blutsverwandte müsst ihr sein, euer Stammbaum ist ein Spielerkreis. Und drüben in Alfhausen zeigte der Schiedsrichter angeblich jedes Mal, wenn er wieder aufwachte, dem nächsten Spieler die Rote Karte. So war das früher, da gab’s noch keine Schienbeinschoner. Ebenso übrigens keine Rote Karte, denn die wurde erst zur WM 1970 eingeführt.

Und dann war da das Derby des SV Quitt Ankum gegen Blau Weiß Merzen anno 1948. Auf Treckern, LKW und Erntewagen waren die Merzener nach Ankum gekommen, um diesem Spiel beizuwohnen. Um zum Stadion oder wie auch immer das damals hieß zu gelangen, mussten sie mitten durchs Dorf, an den zwölf Marktbögen vorbei, die ein Plateau abstützen, auf dem der mächtige „Artländer Dom“ thront. Von diesem Plateau aus hat man freien Blick hinab auf die Hauptstraße und das gegenüberliegende, altehrwürdige Hotel Schmidt. (Ihr ahnt schon: Topografie wird noch wichtig.)

Zeitgenössische Ansicht des Tatorts.

Im Spiel fühlten sich beide Seiten gleichermaßen verpfiffen, schon auf dem Rasen kam es zu ersten Streitereien, und nach Abpfiff kletterten die Merzener reichlich angefressen auf ihre Ackerwagen, um sich auf den Heimweg zu machen.

Im Ort wurden sie von den Ankumern erwartet. Sie standen oben auf dem Plateau und bewarfen sie mit allem, was sie hatten. (Ich habe in Erinnerung, das Wurfmaterial seien Runkelrüben gewesen. Das wäre auch nachvollziehbar, sie liegen gut in der Hand und überstehen den Zusammenprall mit einem Merzener Schädel nahezu unversehrt.) Doch die Merzener, auch kein Kind von Traurigkeit, hielten an und sprangen mit Forken und Dreschflegeln bewaffnet vom Wagen. Sie stürmten das Plateau, jagten die Ankumer rund um die Kirche und bis aufs Klo im Hotel Schmidt, verdroschen sie nach Strich und Faden. Den letzten sollen sie im Artländer Dom aus dem Beichtstuhl gezogen haben.

Nette Geschichte, oder? Hach ja, da lacht das Fußballnostalgikerherz, rustikal ging’s zu in den schweren Jahren nach dem Krieg. Wir hatten ja nichts, noch nicht mal Pyro. Bisher war ich davon ausgegangen, dass, wenn sie nicht gut erfunden war, mein Vater diese Anekdote zumindest reichlich ausgeschmückt hatte. Sie klang einfach zu perfekt.

Neulich aber stieß ich bei einer Internetrecherche zufällig auf die Broschüre zum 75-jährigen Vereinsjubiläum von Blau Weiß Merzen im Jahre 1995, hier gibt es sie immer noch zum Download. Darin fand ich, neben einem Interview mit Ralf Balzis, die Geschichte vom Fußballkrieg auf den Stufen des Artländer Doms wieder, bis hin zum Beichtstuhl genau so, wie mein Vater sie so gerne erzählte. Scheint’s als wäre diese Keilerei der auf ewig unübertroffene Höhepunkt der Merzener Fußballgeschichte.

Was die Vergangenheit betrifft, sollten wir uns also keinen Illusionen hingeben: Den Deppenapostroph gab’s schon immer.

Ein Gedanke zu „Die Geschichte des großen Ankum-Merzener Fußballkriegs von 1948, wie mein Vater sie erzählte

  1. Herrlich Claus…! 😉
    Auch die Keilereien Ober- gegen Unterdorf waren gegen Ende der 70er nicht von schlechten Eltern.
    Auf dem Bolzblatz „Dschingis Khan“ (jetzt Indulor – damals Berufsschule) wurde sich ebenfalls gemessen…

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