Vor hundert Jahren betrat eine Ikone der Werbung das Rampenlicht: Betty Crocker. Zunächst startete sie als Briefkastentante, doch schon 1924 ging sie sie mit ihrer ersten Radio-Kochshow „The Good Food“ auf Sendung. Dafür hatte der Mehlhersteller „Washburn Crosby Company“ eigens einen Radiosender aufgekauft, der von Kalifornien bis Illinois zu empfangen war. Radio war damals noch ein junges Medium, gerade mal 2,5 Millionen Menschen in den USA besaßen einen Empfänger. Doch Betty Crockers Sendung wurde ein Riesenerfolg, weitere Formate folgten, 1945 wurde Betty Crocker zur populärsten Frau der USA nach Eleanor Roosevelt gewählt. Das Interessante daran: Betty Crocker ist eine Kunstfigur.
Ihre Sendungen waren bereits interaktiv: Die Zuhörer konnten sich per Brief registrieren, um an einer Kochschule teilzunehmen; Betty Crocker fragte in ihren Sendungen nach Themenvorschlägen. So gelang es dem Unternehmen, eine longterm relationship zu seinen Kundinnen aufzubauen.
Ein Erfolgsgarant war der konsequent und strategisch clever definierte character der Werbefigur, der den jungen Frauen ihrer Zeit entsprach: Sie lernten in den Zwanzigern nicht mehr bei ihren Müttern oder auf der Hauswirtschaftsschule kochen, sondern besuchten ein College, zogen in die Städte, arbeiteten als Telefonistinnen oder Stenotypistinnen. Dies waren die jungen, modernen Frauen, der Goldenen Zwanziger, die ins Kino gingen. Doch auch sie wollten einen Mann kennenlernen und heiraten, wurden Hausfrauen und bekamen Kinder. Moderne Erwerbsbiografien trafen auf ein traditionelles Familienbild. Diese Lücke schloss Betty Crocker mit ihren Kochsendungen. Glaubwürdig, sympathisch, kompetent – das waren ihre Stärken. Vermutlich hielten viele ihrer Fans sie für eine reale Person, andererseits verschleierten die „Washburn Crosby Company“ und später „General Mills“ zu keiner Zeit, dass Betty Crocker eine Kunstfigur war, was damit auch schon keine Rolle mehr spielte. Betty Crocker war für ihr Publikum da, das war das Entscheidende, insbesondere in den Jahren der Weltwirtschaftskrise wurden ihre Haushaltstipps dankbar aufgenommen. In den Fünfziger Jahren wurde Betty Crockers Kochbuch, bekannt als „The Red Big“, zum Bestseller, es ist ist heute ein Klassiker und steht noch heute in den meisten US-Küchen.
Story comes out of character. Bis heute ist Betty Crocker das unerreichte Vorbild aller Werbefiguren. „General Mills“ nutzt den Namen noch immer und betreibt unter ihrem Name eine Website, auf der Kochrezepte veröffentlicht werden. Vieles, was ihren Erfolg ausmacht, ist auch heute noch brandaktuell, vor allem die konsequente Ausrichtung auf das Wohl und die Wünsche der Kundinnen. Und daran können wir uns auch heute noch orientieren.