An der Wegscheide

Kevin Kühnert würde gerne BMW vergesellschaften, weiß aber selbst nicht so genau, wie. Stellt sich die Frage: Einen Automobilhersteller verstaatlichen, wie soll das denn bitte gehen?

An dieser Stelle räuspert sich der Historiker dezent und murmelt: „Gab’s schon.“

Blicken wir zurück in die Geschichte: Ein deutscher Automobilkonzern in Staatsbesitz, ja, das gab’s schon. Es hat sogar blendend funktioniert, nur der Zeitpunkt war historisch, nun ja, unglücklich. Denn die große Ära der Auto Union AG fiel ausgerechnet in die Zeit des Nationalsozialismus, die Sachsen waren vor dem Zweiten Weltkrieg zweitgrößter deutscher Automobilproduzent nach der Adam Opel AG. Als Staatsunternehmen.

Wie es dazu kam? Ende der Zwanziger Jahre hatte der Däne Jørgen Skafte Rasmussen in Sachsen mit Krediten der Sächsischen Staatsbank den größten Motorradhersteller der Welt geformt, doch nach der Weltwirtschaftskrise geriet sein Konzern in Schieflage. Das Geld wurde knapp, die Banken verweigerten weitere Kredite. Rasmussen und sein Vertrauensmann bei der Staatsbank, Richard Bruhn, entwickelten daraufhin den Plan, Rasmussens Unternehmen mit den Automobilherstellern Audi und Horch zu fusionieren, hinzu kam noch die Marke Wanderer. So entstand 1932 die Auto Union AG, die vier Marken des Konzerns – Audi, DKW, Horch, Wanderer – wurden durch ein neu geschaffenes Logo symbolisiert: vier Ringe, nebeneinander angeordnet. Neunzig Prozent der Anteile hielt die Sächsische Staatsbank, die Stadt Chemnitz schoss noch etwas Kapital hinzu. Die Verstaatlichung geschah also nicht unter Zwang, sondern als Rettungsaktion, die die Unternehmensführung selbst ausgeheckt hatte. Der Staat als Weißer Ritter.

Und der Markenmix funktionierte. Der DKW „Frontwagen“ galt neben dem Opel P4 als einer der ersten „Volkswagen“. Wobei der Name „Frontwagen“ keine militärische Bedeutung hatte, sondern die Antriebstechnik beschrieb: Der DKW F1 war das erste frontangetriebene Serienfahrzeug weltweit. Audi war die aufstrebende Marke, Horch der führende Hersteller der Oberklasse in Deutschland – noch vor Mercedes oder Maybach. Legendär der „große“ Horch von 1931 mit Zwölfzylindermotor, der allerdings in vier Jahren nur 81 Käufer fand.

Im Automobilrennsport ging die Marke eine Symbiose mit dem NS-Regime ein. Geld vom Staat deckte etwa zu 20 Prozent die Kosten, dafür benutzte die nationalsozialistische Führung den Rennsport als ihr Aushängeschild. Unter der Leitung von Ferdinand Porsche fuhren prominente Piloten wie Tazio Nuvolari und Hans Stuck für die Auto Union. Nur sie konnten mit den legendären Mercedes-Silberpfeilen mithalten. Der Star jener Tage aber war Bernd Rosemeyer, der 1938 beim Versuch, den Geschwindigkeitsweltrekord zu brechen, im Rennwagen der Auto Union tödlich verunglückte.

© User:Jed, Auto Union, CC BY-SA 3.0 DE

Zur Unzeit war dies die große Zeit der Auto Union. Knapp ein Viertel aller Fahrzeuge in Deutschland wurden 1938 von der Auto Union hergestellt, Horch hielt in der Luxusklasse über fünfzig Prozent Marktanteil, die Zahl der Beschäftigten war von 8.000 im Jahr 1932 auf über 23.000 gestiegen. Der Autobauer in Staatsbesitz war erfolgreich, weil die Unternehmensführung marktwirtschaftlich agieren konnte und der Erfolg beiden Seiten diente. Aber selbstverständlich fällt es auch leichter, sich in einem boomenden Markt zu behaupten.

Was wurde aus der Auto Union? Ein erfolgreiches Staatsunternehmen, das hätte nach dem Krieg doch wunderbar ins Kalkül der neuen realsozialistischen Machthaber passen müssen. Meint man. Doch jetzt wird’s originell: Statt den Konzern einfach weiterzuführen, ließ die sowjetische Militäradministration (SMAD) die Auto Union AG liquidieren, das Unternehmen wurde 1948 aus dem ostzonalen Handelsregister gelöscht. Damit gab die SMAD auch die Rechte an den Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer preis. Unternehmensführung und Mitarbeiter, die mit allen Fertigungsplänen längst in den Westen ‚rübergemacht hatten, mussten nur noch zugreifen. Diesmal leistete die Staatsbank aus Bayern die nötige finanzielle Unterstützung, zusätzlich flossen Mittel aus dem Marshallplan: 1949 wurde die Auto Union als GmbH in Ingolstadt neu gegründet; im realsozialistischen Sachsen wurden die verbliebenen Produktionsanlagen, die nicht als Reparationsgüter in die UdSSR verbracht worden waren, in das IFA-Fahrzeugkombinat überführt. So kam es zu der bizarren Situation, dass das Vorkriegsmodell des DKW F8 leicht abgeändert in Ost und West parallel weitergebaut wurde. Sämtliche Namensrechte aber lagen im Westen.

Die bundesdeutsche Auto Union GmbH überlebte nur knapp. Sie nahm als letzter Hersteller im Westen spät, fast zu spät Abschied vom technisch veralteten Zweitaktmotor, und das auch nur auf hartnäckiges Drängen der Daimler AG, der das Unternehmen damals gehörte. Während im Osten weiter die Zweitaktmotoren über die maroden Straßen tuckerten, vollzogen die Ingolstädter mit dem viertaktgetriebenen F103 einen Neustart unter der Marke Audi.

Manchmal sind die Koinzidenzen in der Geschichte faszinierend; Schlüsselmomente, die über Erfolg oder Untergang entscheiden. Historiker interpretieren sie gerne kausal als Ergebnis einer Entwicklung, doch ehrlicherweise lässt sich im Nachhinein nur schwer sagen, ob Zufall, persönliche Entscheidungen oder die Systeme über den Fortgang der Geschichte entschieden haben. In der DDR hatten Ingenieure des IFA-Kombinats Anfang der Siebziger Jahre mit großem Elan einen modernen Nachfolger für den Trabbi entwickelt, der sich durch Viertaktmotor und eine moderne Karosserie im Golf-Stil auszeichnete. Doch die SED-Führung stoppte das Projekt, weil sie die Kosten scheute und auch die Notwendigkeit nicht sah, im real existierenden Sozialismus ein modernes Automodell auf den Markt zu bringen.

Zur gleichen Zeit in Ingolstadt. Audi war von Daimler an VW verkauft worden, und die Wolfsburger hatten sämtliche Eigenentwicklungen in Ingolstadt gestoppt, weil sie an die Zukunft des Käfers glaubten, sie wollten das Werk nur noch als verlängertes Wolfsburger Fließband nutzen. Käfer forever! Doch Audi-Chefentwickler Ludwig Kraus hatte andere Ziele. Heimlich und nach Feierabend entwickelte er mit seinen Mitarbeitern ein vollkommen neues Fahrzeug, eine viertürige Limousine im modernen Design, die konsequent auf Leichtbau getrimmt war. VW-Chef Nordhoff bekam Wind von der Sache und reiste nach Ingolstadt, um das Projekt zu stoppen.

Nachdem Kraus die Decke von dem Prototypen gezogen hatte, strich Nordhoff mehrmals nachdenklich um das Modell herum, seine Zornesröte wich nach Kraus‘ Schilderung allmählich einem aufmerksamen Interesse. Schließlich verkündete er kurz und knapp: „Bauen.“ Das Fahrzeug kam als Audi 100 auf den Markt und schlug sofort ein, der Aufstieg der Marke mit Jan Rasmussens vier Ringen nahm seinen Anfang. Und nachdem VW Anfang der Siebziger aufgrund der Käfer-Monokultur in eine schwere Krise geraten war, konnten ausgerechnet mit technischem Input aus Ingolstadt Golf, Passat und Polo entwickelt werden, jene Modelle, die VW zurück in die Erfolgsspur brachten.

Winkelzüge der Geschichte. Nordhoff sah das Potenzial des Audi 100. Indirekt rettete diese Entscheidung das gesamte Unternehmen.

Um 1960, als das Wirtschaftswunder verebbte, standen bereits die Autohersteller Borgward und BMW an der Wegscheide. Als in Bremen der Hersteller der legendären Isabella in die Krise geriet, setzte der Bremer Senat dem Unternehmensgründer Carl F. W. Borgward die Pistole auf die Brust: Er sollte sein Unternehmen dem Staat überschreiben, Vorausgegangen war die Nachricht, dass Borgward überschuldet wäre, wovon der Chef nachts aus dem Autoradio erfuhr. Ihm blieb anschließend keine Wahl mehr, denn nach dieser Meldung verweigerten die Banken weitere Kredite: Borgward wurde verstaatlicht. Und so gilt Borgward heute als erste und einzige Enteignung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Mit der Sanierung waren die Bremer Politiker jedoch überfordert, weswegen bei Borgward nach kurzer Zeit die Lichter ausgingen. Doch Achtung! Sämtliche Schulden bei den Gläubigerunternehmen konnten bis 1963 beglichen werden. Überschuldet?

BMW steckte Ende der Fünfziger Jahre wegen einer verfehlten Modellpolitik in der Krise. Das Angebot bestand nur noch aus einem originellen Microcar, der Knutschkugel Isetta/BMW 600, und der spätbarocken, technisch veralteten Luxuslimousine 501/02. Mit beiden ließ sich nicht genug verdienen, ein ertragsreiches Volumenmodell in der Mitte fehlte. Die Banken hatten deshalb die Übernahme durch Daimler-Benz bereits beschlossen. Ein Hinterzimmer-Deal, dem jedoch in der entscheidenden Aktionärsversammlung Kleinaktionäre, Händler und Belegschaft die Zustimmung verweigerten. Die Übernahme konnte abgewendet werden, auch weil die Quandts BMW über eine Kapitalerhöhung die nötigen finanziellen Mittel verschafften, um die Modellpalette aufzufrischen. Denn was die Banken den Aktionären verschwiegen hatten: Ein vielversprechendes neues Fahrzeug, der BMW 700, stand bereits in den Startlöchern. Und der schlug voll ein. Hinzu kam, dass kurz darauf Borgward als direkter Konkurrent vom Markt verschwand, Gruß an den Bremer Senat, der sich ausgerechnet vom BMW-Sanierer und Münchner CSU-Politiker Johannes Semler beraten ließ. BMW war gerettet.

Bei der Borgward-Sanierung versagte die Politik kläglich, BMW hingegen wurde durch privates Engagement eine erfolgreiche Zukunft eröffnet. Jørgen Skafte Rasmussen, der Mann hinter den vier Ringen, wurde 1934 aus dem Unternehmen gedrängt. Seine Lebensleistung ist heute fast vergessen. Selbstverständlich können Unternehmen auch in staatlichem Besitz erfolgreich sein. Man muss nur die Regeln kennen. Oder es geht dahin.

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