Wie entstehen gute Serien und Sitcoms, was ist dafĂŒr nötig? DarĂŒber differieren global die Vorstellungen. WĂ€hrend in Deutschland eher Redakteure und Produzenten den Hut aufhaben und auf kreativer Seite die Regisseure im Rampenlicht stehen, spielt die zentrale Rolle in den USA in den allermeisten FĂ€llen ein „Showrunner“. Einige von ihnen sind sogar zu echten Stars geworden, David E. Kelley zum Beispiel, Erfinder von „Ally McBeal“ und Ehemann von Michelle Pfeiffer. Aus seiner Feder stammen auch „Boston Legal“ oder die ganz, ganz groĂartige Amazon-Serie „Goliath“ mit dem noch viel groĂartigeren Billy Bob Thornton. (Bis auf das Finale der ersten Staffel, das wie ohne Drehbuch gedreht wirkt. Aber der Rest ist MEGA!) Oder Chuck Lorre, Mastermind hinter „Two and a half Men“ und „The Big Bang Theory“.
Wo ist der Unterschied?
ZunĂ€chst mal: Auch in Deutschland gibt es Serien, die stark vom Autor geprĂ€gt sind, Ralf Husmanns „Stromberg“ etwa oder „Pastewka“ von Chris Geletneky und eben Bastian Pastewka. Den ersten beiden Staffeln „Mord mit Aussicht“ merkt man die kundige Hand von Headwriter Marie Reiners an, der dritten ihr Fehlen.
Da sieht man auch schon die StĂ€rke dieses Konzepts: Der Showrunner ist in der Welt seiner Serie zu Hause, er kennt seine Charaktere aus dem Effeff und weiĂ genau, wie sie ticken. Dahinter steht dann immer ein Team von Autoren, in den USA meist enger gefĂŒhrt als „Writer’s Room“, seltener als Team von Freien.
Was spricht fĂŒr einen Showrunner? Es ist der Erfolg!
Ich behaupte: Jeder Serie tut es gut, wenn sie von einem Showrunner gefĂŒhrt wird. In Deutschland entscheiden aber vor allem Producer, auch die Redaktion mischt sich gerne ein. Und in Buchbesprechungen darf schon mal die dritte Beleuchterin von links ihren Senf dazugeben. Das Ergebnis ist oft ein mauer Kompromiss. Wie viel Freiheit ein Autor hat, hĂ€ngt von seinem Standing ab und vom Charakter der beteiligten Redakteure und Produzenten. Viel Geld steht auf dem Spiel, da möchten sie aus sehr nachvollziehbaren GrĂŒnden die Kontrolle behalten. Aber manchmal ist Loslassen eine StĂ€rke.
Allerdings hat in Deutschland wohl auch niemand die Erfahrung eines David E. Kelley oder eines Chuck Lorre. Als Charlie Sheen sich am Set von „Two and a half Men“ mit Chuck Lorre anlegte, musste Sheen gehen, der Hauptdarsteller und Mega-Star, das Gesicht der Show. In Deutschland nahezu unvorstellbar. Dieses Standing hat Lorre sich erarbeitet. Bevor er 1993 mit „Grace“ seine erste Serie etablieren konnte, hatte er bereits zehn Jahre in Hollywood bei den verschiedensten Produktionen hinter sich, darunter so originelle Formate wie „Muppets Babies“, aber er hatte auch schon lange fĂŒr „Roseanne“ geschrieben, jene Show, die spĂ€ter den halben Cast von „The Big Bang Theory“ stellen sollte. Mit „Dharma & Greg“ gelang ihm endgĂŒltig der Durchbruch!
Was fĂŒr eine Vita, was fĂŒr ein Leben im Dienste der Comedy. Dieses Know-how hat in Deutschland niemand, meiner EinschĂ€tzung nach sind die Chancen sogar gering, es im Team mit mehreren Personen an einem Tisch zusammenzubekommen.
Trotzdem halte ich das Konzept des Showrunners fĂŒr ĂŒberlegen. So hatte Deep Space Nine zu Anfang groĂe Probleme in der Drehbuchentwicklung, ehe sich Ira Steven Behr als Showrunner und Executive Producer etablieren konnte.
Showrunner oder nicht? Die Antwort auf diese Frage ist niemals schwarzweiĂ, mal sind Headwriter stĂ€rker, mal schwĂ€cher. Und selbstverstĂ€ndlich ist eine Produktion immer Teamwork. Aber auch fĂŒr kleinere Produktionen und Projekte gilt: Jemand muss den Hut aufhaben, und das sollte im Idealfall der sein, der am besten Bescheid weiĂ ĂŒber Figuren, ihre Haltungen und WiderstĂ€nde, Aims, Needs und Catchphrases.
Wie ein Projekt aber richtig schief gehen kann: Ein Kollege hatte vor Jahren einen Sitcom-Piloten zur Drehreife entwickelt, der Drehtermin stand bereits fest. Doch in der entscheidenden Buchbesprechung fragte irgendeine Mitarbeiterin plötzlich: „MĂŒssen wir auf Seite 42 denn poppen sagen?“
Kollektives Schweigen folgte.
Die Mitarbeiterin fuhr fort: „Poppen â das klingt so hart. Gibt’s dafĂŒr kein schöneres Wort?“
Lange wurde ĂŒber eine Alternative zu poppen diskutiert, der Autor verzweifelte zunehmend. Ficken war zu vulgĂ€r, Liebe machen zu technisch, den Ruf von schnackseln hatte FĂŒrstin Gloria nachhaltig ruiniert. Man konnte sich auf keine Alternative einigen, der Pilot wurde nie gedreht, das Projekt â sorry â abgeblasen. Wegen poppen.
Aber auch: In Deutschland ist der Producer nicht immer ein Einmischer. Rainer Bender war in der Wochenshow durchaus der Showrunner – es gab nur einfach 1997 die Berufsbezeichung noch nicht. Aber Rainer war die Show. Er war Anke, Bastian, Marco und, ja, sogar Ingolf. Immer ruhig, ganz Zen, polierte er jede Woche die BĂŒcher. Wir beide waren oft die letzten, die das BĂŒro nach Mitternacht verlieĂen. Der bekloppte Grafiker und Rainer der Showrunner, der nicht so bieĂ.
Bei den Expo-Werbespots hatte ich den beteiligten Wochenshow-Kollegen einen Gag aus dem Script gestrichen mit der BegrĂŒndung: „Das bricht die Figur.“ Woraufhin sie in GelĂ€chter ausbrachen: „Das sagt Rainer auch immer.“ đ
Rainers Rolle spricht genau dafĂŒr, dass jemand mit tiefem VerstĂ€ndnis fĂŒr Show und Charaktere den Hut aufhaben sollte.