Schrankwand „Rommel“

In jedem größeren Comedy-Projekt kommt irgendwann der Punkt, an dem irgendjemand am Tisch irgendeinen der Gags im Manuskript kritisch hinterfragt: „Versteht das Publikum das?“ Oder gar: „Versteht den jeder?“ Meist folgen darauf ellenlange, absurde Diskussionen, ob der Gag nun gut ist oder nicht, pros und cons werden ausführlich ausgetauscht, und am Ende ist der Gag totgeritten und der Autor eigentlich auch.

Nicht missverstehen: Ich bin der erste, der einen müden Gag kicken möchte, und Gags müssen natürlich zur Zielgruppe passen. Kenne Dein Publikum! Einen einzelnen Gag im Script auszutauschen, ist meist auch gar nicht das Ding. Aber darum geht es mir nicht. Ich finde: Manche Gags sind speziell. Aber genau deshalb sollte man ihnen eine Chance geben.

Ja, manche Gags versteht nicht jeder. Aber wo ist das Problem? Humor ist individuell, es lacht sowieso jeder über andere Dinge, und Gags funktionieren immer nur im Kontext. Wer etwa Schrödingers Katze nicht kennt, kann über Anspielungen mit ihr nicht lachen. Nichtsdestotrotz ist sie, auch dank „The Big Bang Theory“, natürlich ein absoluter Comedy-Klassiker. Kann man machen – auch außerhalb von Physik-Hörsälen. Denn Gags sind wie Aktienkurse. Wer immer nur auf die sichere Karte setzt, erzielt weniger Gewinn, mit dem Risiko steigen aber auch die Chancen. Es ist eine Abwägung.

Ein Gag entsteht aus der Spannung zwischen Sinnhaftem und Unsinn. Man kann sich das vorstellen wie bei einem Gummiband: Je absurder ein Gag ist, je weiter weg von der Realität, desto mehr kommt das Gummiband unter Spannung. Wenn man das Absurde aber zu sehr überdehnt, dann reißt es und die Wirkung verpufft.

Als Gag-Autor der Schmidt-Show hatte ich mir mal exklusiv das Thema „Nazi-Möbel in Hildesheim“ herausgepickt. Klingt absurd, war auch so: Ein Möbelhaus hatte einen Prospekt veröffentlicht, in dem Möbel nach Größen der Nazizeit benannt waren: Tisch „Benito“, Schrankwand „Rommel“ und so weiter, „Adolf“ fehlte grad noch. Der Headwriter hatte das Thema verworfen, es war ihm zu kompliziert. Ich habe mich trotzdem darangesetzt, weil ich Spaß daran hatte, und es kamen eine Reihe wundervoller Gags zusammen. Weil der Headwriter ein grandioser Kollege ist, hat er daraufhin seine Meinung einfach umgeschmissen und die Nazi-Möbel ՚reingenommen, Harald Schmidt hat eine großartige Nummer drumherum gestrickt, mit Reichswasserleiche, Reichsgletscherspalte und allem Pipapo, und was wir kaum zu hoffen wagten angesichts dieser ambitionierten Nummer: Das Publikum im Studio ist schier ausgerastet.

Wow, das ging runter wie Öl. Hinterher meinte Schmidt: „Ich war skeptisch, ob die Nummer funktioniert. Aber egal, solche Gags muss man mal machen.“

Genau darum geht’s: Einfach mal machen. Grundsätzlich ist jeder Gag ein Risiko, jeder Gag kann zum Megabrüller oder zum Rohrkrepierer werden. Das weiß man vorher nicht. Das Publikum ist aber ebenso enttäuscht, wenn es unter-, wie wenn es überfordert wird. Und sichere Gags sind leider auch vorhersehbar. Deswegen bin ich immer dafür, einen riskanten Gag auch mal drinzulassen, denn genau für den wird das Publikum uns lieben, dafür wurde die Schmidt-Show geliebt. Und wenn ein Gag mal nicht zündet? Egal: „Hey, hier kommt der nächste…!“ Deswegen: Seid mutig, traut euch was, das Risiko wird belohnt. Wer in der Comedy ausschließlich auf die vermeintlich sichere Karte setzt, wird scheitern.

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