Der Mann, der nicht Marie hieß

Es gibt diverse Theorien und Ansätze, was lustig ist und wieso es Humor gibt, Schopenhauers Inkongruenz etwa oder die Fallhöhe, viele kluge Menschen haben sich darüber bereits Gedanken gemacht. Mit unterschiedlichem Erfolg. Meine ganz persönliche, kleine Theorie lautet: Humor ist im Laufe der menschlichen Evolution entstanden, damit wir uns nicht gegenseitig permanent auf die Glocke hauen. Wer in der Lage ist, über sich und die Welt zu lachen, hat eine höhere Frustrationstoleranz. Wir lachen, wo wir sonst ausrasten müssten. Das kann Leben retten.

Daraus ergibt sich, was jeder Gag ist: ein Regelverstoß – und wir haben die Wahl, darüber zu lachen oder auch nicht.

Ein Beispiel: In einer Bonner Bar* bin ich durch einen Bekannten mal zufällig in die Party eines Bonner Fußballprofis* geraten, der dort den Aufstieg seines Clubs* in die Bundesliga feierte. In seinem Gefolge befanden sich ein paar Anzugträger mit Balkanhintergrund, darunter einer vom Typ Türsteher, knapp zwei Meter groß und in den Schultern doppelt so breit wie ich, mit ziemlich grimmigem Gesicht. Mein Kumpel stellte mich ihm vor, doch leider habe ich seinen Namen nicht verstanden, auch im zweiten Anlauf nicht, ich hörte nur irgendwas mit „M“. Also fragte ich im Scherz: „Wie heißt Du? Marie?“

Es war, als wäre die Bar mit flüssigem Stickstoff geflutet worden. Schlagartig verstummten die Gespräche um mich herum, alle waren wie schockgefrostet erstarrt. Und ich, mittendrin, dachte: Oha, Claus, zum ersten Mal kriegst du jetzt für dein Schandmaul eins aufs selbiges – und zwar richtig. Die drei längsten Sekunden meines Lebens vergingen, in denen der Mann, der nicht Marie hieß, ziemlich böse guckte. Ach was: In ihm brodelte es, ein Vulkan kurz vorm Ausbruch. Doch dann prustete er plötzlich los, machte sich locker und hieb mir mit der Pranke auf die Schulter: „Super! Bist du Freund!“ Dann umarmte er mich und nannte mir seinen wahren Namen. Den ich immer noch nicht verstanden habe. Egal, ich erinnere mich auch sonst nur noch an wenig, denn der Mann, der nicht Marie hieß, spendierte mir für den Rest des Abends die Drinks, und es wurden viele Gin Fizz. Auch wegen der Schmerzen in meiner Schulter. Meine Fresse, hätte der Typ mir das Esszimmer zerdeppert… Cheers und hoch die Tassen!

Was war geschehen? Ich hatte gegen eine mir bis dahin unbekannte Regel verstoßen, die da grob lautet: Belege nie einen Jugo mit einem Frauennamen. Doch zu meinem Glück hatte mein Freund in den paar Sekunden, in denen ich mich um ein Haar komplett eingenässt hätte, beschlossen, darüber zu lachen. Halleluja!

Humor ist immer auch eine Entscheidung. Jeder Gag ist ein Regelverstoß. Deswegen ist es auch nahezu nicht möglich, Witze zu machen, ohne irgendjemandem auf die Füße zu treten. Meiner einer kommt zum Beispiel mit Wortspielen nicht klar, sie bereiten mir nahezu physische Schmerzen, und ich glaube, es liegt daran, dass sie die Regeln der Sprache verletzen. Aber als humorbegabter Mensch weiß ich selbstverständlich, dass der Fehler komplett bei mir liegt, weswegen ich gelernt habe, die Wortspiele zu akzeptieren. Außer es handelt sich um wirklich schlechte Wortspiele, dann empöre ich mich doch wohl zu recht, und unter uns gefragt: Sind nicht alle Wortspiele schlecht? Also – hört auf mit dem Blödsinn!

Der Mann, der nicht Marie hieß, ist aber ein ganz großartiger Kerl, denn anders als viele Zeitgenossen ist er in der Lage zu abstrahieren und über sich selbst zu lachen. Dafür hat er meinen größten Respekt. Wenn ich doch nur seinen Namen wüsste!

*Name ist der Redaktion bekannt.

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